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Die Sympathie, die sich zwischen zwei, zwischen mehreren Menschen abspielt, die sich im Blick und auch sonst im Sinn haben, um Lösungen zu erreichen, "die zu erreichen sie getrennt vergebens hoffen würden", ist, um es noch einmal zu sagen, keine Frage nur des Gefühls. Sie ist, mit Hannah Arendt gesprochen, die das Gefühl provozierende und aufspürende Frage an den Anderen: Wer bist Du? (ebd. S.167). Die Frage ist eine Zumutung. Ihre Beantwortung ein Risiko - "unter anderem auch darum, weil niemand weiß, wen er eigentlich offenbart, wenn er im Sprechen und Handeln sich selbst unwillkürlich mitoffenbart. Dies Risiko, als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu treten, kann nur auf sich nehmen, wer bereit ist, in diesem Miteinander auch künftig zu existieren, und das heißt bereit ist, im Miteinander unter seinesgleichen sich zu bewegen, Aufschluß zu geben darüber, wer er ist, und auf die ursprüngliche Fremdheit dessen, der durch Geburt als Neuankömmling in die Welt gekommen ist, zu verzichten" (S. 169).

Die Frage "Wer einer ist" läßt sich natürlich nicht definitiv beantworten. Das "bedingt die Ungewißheit nicht nur aller Politik, sondern aller Angelegenheiten, die sich direkt im Miteinander der Menschen vollziehen" (S.172). Das Miteinander ist und bleibt ein Risiko. Was kein Unglück ist. Liegt "die differentia spezifica des Menschen ja gerade darin.., daß der Mensch ein Jemand ist, und daß wir dies Jemand-sein nicht definieren können, weil wir es mit nichts in Vergleich setzen ... können" (ebd.). Wir können es nicht definieren, es nicht dingfest machen, wir können es nur immer wieder und immer wieder anders zum Ausdruck bringen - in den Vorgängen des Handelns und Sprechens, "die von sich aus keine greifbaren Resultate und Endprodukte hinterlassen", die aber deswegen nicht wirkungslos bleiben. "Wir nennen diese Wirklichkeit das Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten" (S.173), das wohl "weltlich nachweisbar", an eine "objektiv-gegenständliche Dingwelt gebunden ist", aber ....

Hannah Arendt geht davon aus, daß der Vorgang, in dem Menschen sich im Handeln und Sprechen voreinander offenbaren und mit dieser Offenbarung eine "Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten" bilden, ein eminent politischer Vorgang ist, es aber ein "Grundirrtum" sei, "den Bereich des Politischen materialistisch zu verstehen" (ebd.) - und die "einfache Tatsache" zu übersehen, "daß Menschen, auch wenn sie nur ihre Interessen verfolgen und bestimmte weltliche Ziele im Auge haben, gar nicht anders können, als sich selbst in ihrer personalen Einmaligkeit zum Vorschein und mit ins Spiel zu bringen. Diesen sogenannten "subjektiven Faktor" auszuschalten, würde bedeuten, die Menschen in etwas zu verwandeln, was sie nicht sind" (S.173f.). Marx Fehler! Unterstellt Arendt. Sie irrt sich. Sie irrt sich gründlich, wenn sie den subjektiven Faktor als "das eigentliche Personale" bestimmt und dessen Produktion - die Erzeugung eines "Bezugsgewebes menschlicher Angelegenheiten" - für eine im Handeln und Sprechen sich vollziehende politische Tätigkeit nimmt, die wohl "wie etwa die Sprache an die physische Existenz eines lebendigen Organismus gebunden ist", dieser aber nicht verbunden ist.

So wahr das "Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten" kein objektiver Sachverhalt ist, sondern die Angelegenheit von Subjekten oder besser gesagt von Individuen ist, die - wenn nicht ihre subjektive oder personale, so doch - ihre individuelle Einmaligkeit ausdrücklich zum Vorschein bringen und sie handelnd zueinander in Beziehung setzen und auf diesem Wege - auf politischem bzw. gesellschaftlichem Wege also - das Sozialwesen konstituieren, das sie nicht von Natur aus besitzen, so wahr ist doch auch, daß die Produktion dieses - sozialen - Gewebes eine materialistische Angelegenheit ist: die Angelegenheit von Menschen, die anders als Pflanzen und Tiere ihre Natur mit Abstand betrachten können und müssen und so die Qual der Wahl ihrer Gemeinschaft mit der Natur haben, doch nicht die Wahl, sich ihren Bezug ohne den Bezug zur Natur zu wählen. Vermag der Mensch auch, wie Marx schreibt, "seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und Bewußtseins" zu machen, ist er anders als das Tier nicht unmittelbar eins mit ihr, sondern in der Lage, sie auch nach den "Gesetzen der Schönheit" zu transformieren (MEW EB. 1. Teil, S.516f.), so ist und bleibt sie doch Natur bedingt - und nicht anders als die tierische Lebenstätigkeit darauf angewiesen, daß die Natur ihr gewogen ist. Mit anderen Worten: Die Bereitschaft, "als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu treten" und dieser Erscheinung die Treue zu halten, ist nur zu halten, wenn die zu diesem Miteinander Bereiten auch bereit sind, dafür zu arbeiten.

Arbeit ist kein Spiel. Sie muß allerdings erspielt werden. Wie das Spiel zu erarbeiten ist. Die Arbeit ist auch nicht mit der "Aufschluß-gebenden Qualität des Sprechens und Handelns" (Arendt: aaO. S.169) getan. Wie sie nicht ohne sie zu tun ist. Bei der Arbeit tritt der Mensch, wie Marx sagt, "dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen" (Kapital I, S.192). Am Ende der Bewegung kommt ein Resultat zustande, das zu Beginn der Bewegung, wie Marx einige Zeilen später wider besseres Wissen schreibt, "schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war". Wohl zielt die Bewegung von Anfang an auf ein Resultat: auf den Naturstoff in einer für das menschliche Leben brauchbaren Form. Was am Ende dabei praktisch herauskommt, ist am Anfang aber keineswegs schon entschieden. Entschieden ist am Anfang nur, daß das Resultat ein brauchbares sein muß. Es muß den Hunger stillen, den Durst löschen, den nackten Körper bekleiden und bedachen, die Bewegungslust stützen und wer weiß was leisten, das für das menschliche Leben brauchbar ist. Wie das Resultat konkret aussieht, stellt sich heraus, wenn es fertig ist. Es überrascht. Am Ende des Arbeitsprozesses findet sich ein Resultat, das am Anfang nicht vorgesehen war: nicht exakt vorhergesehen, genau gesagt. Insofern die augenblickliche Arbeit andere Arbeiten zur Voraussetzung hat, geht sie mit Erfahrungen ans Werk, die die Arbeit von Anfang an aufmerksam und regulierend begleiten, für diese und jene Bewegung sprechen, andere Bewegungen ausschließen - und ein Resultat antizipieren, das in seiner besonderen Form der Brauchbarkeit überrascht, doch nicht, weil es überhaupt einen Gebrauchswert hat.

Wie groß der Erfahrungsschatz der am Arbeitsprozeß beteiligten Individuen auch sein mag, er ist nie so groß, daß er sich während ihrer Arbeit nicht noch zu vergrößern vermag - und am Ende des Arbeitsprozesses ein Ergebnis zustandekommt, von dem die Arbeiter zu seinem Beginn noch keine Vorstellung haben: keine, die die Art und Weise ihres Tuns als Gesetz bestimmt, dem sie ihren Willen für die ganze Dauer der Arbeit unterordnen und das sie zwingt, das Spiel ihrer eigenen körperlichen und geistigen Kräfte möglichst aus dem Spiel zu lassen. Derart linear vermögen nur Maschinen den Arbeitsprozeß bestimmen. Nur sie können sich über das nicht-lineare Spiel der körperlichen und geistigen Kräfte der Arbeiter hinwegsetzen, die immer im Spiel sind, solange die Arbeiter im Arbeitsprozeß noch eine Rolle spielen. Solange der Arbeitsprozeß noch ein menschlicher und nicht ausschließlich maschineller ist, Menschen ihre Arme und Beine, Kopf und Hand in Bewegung setzen müssen, um mit diesen Bewegungen, wie technisiert sie auch immer sind, zu einem brauchbaren Resultat zu kommen, ist nicht damit zu rechnen, daß die Menschen ohne Arbeit wissen, was sie zum Leben brauchen.

Wie eine brauchbare Sprache den Sprechenden nicht zu verschreiben, sondern von ihnen im Gespräch zu arbeiten ist, so lassen sich auch alle anderen Bräuche nur durch zusammen arbeitende und dabei sprechende Individuen erarbeiten: assoziativ - und nicht auf Befehl. Das heißt nicht, daß im Arbeitsprozeß nicht auch Gesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen sind. Das um so dringender, desto größer das Gewicht der im Arbeitsprozeß eingesetzten Maschinen ist. Es heißt auch nicht, daß die assoziativ erarbeiteten Produkte erwartungsgemäß im Eigentum der assoziierten Produzenten verbleiben - und für die Produktivität ihrer Assoziation sprechen dürfen. Sie dürfen es wider Erwarten nicht! Sie dürfen es auch nicht für Hannah Arendt. Ihre Vorstellung zur Vorstellung, die den Arbeitsprozeß von Anfang bis Ende beherrscht, ist die Idee, daß Arbeit eine Notwendigkeit sei, die als solche den Menschen nicht weiterbringe - und daher Sklaven zu überlassen sei, die wie Maschinen funktionieren bzw. Maschinen sind, die keinen Zweifel aufkommen lassen, daß am Ende ihrer Arbeit ein Resultat vorhanden ist, auf das sie zu Beginn eingestellt sind: ein Resultat, mit dem die Maschinen natürlich nichts anfangen können, Sklaven nichts anfangen durften, wohl aber deren Besitzer.

Die herrschende und von Hannah Arendt geteilte Vorstellung, daß Arbeit nicht bilde, die Bildung eine Sache der Bildung sei, die sich außerhalb des "Arbeitssektors" im Handeln und Sprechen vollziehe, ist falsch. Wenn der Mensch die "seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand" in Bewegung setzt, "um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen", dann bildet er sich auch. "Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur". Fragt sich nur, von welcher Qualität diese Bildung ist. Marx Antwort: Er entwickelt die in seiner Natur "schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit" (Kapital I, S.192). Stimmt das, dann läuft die Entwicklung der menschlichen Natur auf ihre Maschinisierung hinaus, die am Ende alles unter Kontrolle hat - und ganz von Spiel der körperlichen und geistigen Kräfte der menschlichen Natur absehen kann. Das war der "Wunschtraum der Jahrtausende", aus dessem Bann auch Marx sich so recht nicht zu lösen weiß: der Traum "des Menschen in der Männergesellschaft", wie Horkheimer und Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" (Ffm. 1969) schreiben, "grenzenlos Natur zu beherrschen, den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln" (S.264). Es ist ein Traum, der sich zum Glück nicht erfüllt hat: ein Männertraum, der mit Gewalt nichts von den Träumen der Individuen wissen will - und auch nichts vom Eigensinn der Natur, die er "seiner eignen Botmäßigkeit" zu unterwerfen trachtet.

Wer will, daß sich die in seiner Natur "schlummernden Potenzen" entwickeln, darf nicht auf sie einprügeln und erwarten, daß sie ihm botmäßig wird. Er muß sie deswegen nicht so nehmen, wie sie ist. "Die Einheit des Menschen mit der Natur" ist zwar, wie Hegel schreibt, ein "beliebter und wohlklingender Ausdruck"; doch falsch. Richtig muß es heißen: "die Einheit des Menschen mit seiner Natur (Hegel: Werke 16. Vorlesungen über die Philosophie der Religion I; Ffm. 1978, S.267f.). Damit sie das wird - nicht nur seine Natur, sondern auch seine Natur - genügt es nicht, wie Hegel zurecht betont, ihr in aller Unschuld zu begegnen, wie sie gern den unschuldigen Kindern unterstellt wird, doch auch nicht, daß deren "Unschuld", wie Hegel will, in ein Wollen umschlägt, das so selbstbewußt ist, daß mit ihm die kindliche "Unschuld" auf der Strecke bleibt - und ihm das Bewußtsein des Anderen ganz abhanden kommt, das dem Kind allein deshalb noch merklich zur Hand ist, wie es noch nicht "erwachsen" ist, es noch wachsen muß: weil es die Hand und alle anderen "seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte" in Bewegung setzen muß, um durch "diese Bewegung auf die Natur außer ihm" der Hand und den sonstigen Organen ihre spezifische Beweglichkeit zu verschaffen. Und die nie so "erwachsen" sein wird, daß der Mensch sie sich nicht immer wieder neu und anders verschaffen muß, im hohen Alter noch, damit auch der Alte mit ihr noch etwas anfangen kann.

Insofern der Mensch Natur in Natur ist und von ihr lebt, wie alle anderen Lebewesen von ihr leben, jedes auf seine Art, der Mensch auf menschliche Art, muß er sie auch ins Auge fassen, ihr sein Ohr leihen, Hand an sie legen, um ihr eine Form zu geben, in der sie für sein Leben auch brauchbar ist. Welche das ist, steht natürlich nicht fest. Sie ist von Natur zu Natur verschieden und eine Frage, wie Mensch und Natur zusammenkommen. Sicher ist, daß sie nicht ohne Gewalt zusammenkommen: daß, mit Hegel gesprochen, "das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt", sich nicht am Leben zu erhalten vermag (Phänomenologie des Geistes. Hamburg 1952, S. 29). Wie kein Lebewesen seines Lebens sicher sein kann, jedes Lebewesen, das andere verzehrt, auch zum Verzehr da ist, dem es sich natürlich mit artspezifischen Techniken widersetzt, so wenig ist auch das menschliche Leben seines Lebens sicher - und gezwungen, mit den ihm eigenen Mitteln, einer Technik, die ihm nicht angeboren, sondern von ihm zu erfinden ist, das zu seinem Verzehr gebrauchte Leben seiner Botmäßigkeit zu unterwerfen bzw. sich dem unbotmäßigen Verlangen der Natur nach seinem Leben zu widersetzen.

Das natürliche Gleichgewicht ist brutaler Natur. So viel ist sicher. Sicher ist aber auch, daß der Tod des Anderen und die Verwüstung der Landschaft eine Katastrophe sind - und für die Überlebenden keinen Anlaß bieten, zu triumphieren und die fremde Niederlage als den eigenen Sieg zu feiern. Statt "Einfühlung in den Sieger" ist, mit Benjamin gesprochen, die "Einfühlung in die Katastrophe" angebracht, deren Aufgabe es ist, nicht nur "der Tradition der Unterdrückten habhaft zu werden, sondern auch sie zu stiften" (I. 3, S.1246): das auf der Strecke gebliebene Leben - die zertretene Blume, deren Weiterleben für Mensch und Tier noch ein Genuß hätte sein können; den gefällten Baum, der den Vögeln Platz zum Nisten bot und ihnen hätte weiter bieten können, weiter für Schatten und andere Wohltaten hätte sorgen können; das erschlagene Tier, das lebendig geblieben, eine Augenweide geblieben wäre; den beschädigten Mitmenschen, der unbeschädigt mehr Sinn hätte machen können - nicht nur zu beklagen, sondern von ihm zu retten, was noch zu retten ist. Lassen sich Tote auch nicht wieder zum Leben erwecken, so ist das einmal hoffnungsvoll gelebte Leben damit doch nicht als erledigt abzutun. Die Gemeinschaft, die mit Gewalt beendet wurde, stellt sich ihrer erfolgreichen Form kritisch entgegen - und bürstet ihre Geschichte gegen den Strich, müßte sie auch "die Feuerzange zu Hilfe nehmen" (ebd. S.1241). Sie macht die Gewalt, die nötig war, nicht rückgängig, konfrontiert sie aber mit ihrem Ausgangspunkt, der natürlich, wie Marx in der Einleitung zu den "Grundrissen" schreibt, in "Gesellschaft produzierende Individuen" sind: eine Gemeinschaft von Mensch und Natur, die nicht auf Sieg getrimmt, sondern auf Rettung gestimmt ist, Rettung nicht erst in der Not, sondern vor der Not, Rettung der Fülle, des menschenmöglichen Reichtums der Natur, um ihn mit den fortgeschrittenen Produktionsmitteln sicherzustellen; "eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (MEW. Bd.4, S.482).

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