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Die Würdigung des Ausgangspunktes kann als "Zurück zur Natur" verstanden werden, keineswegs aber als Besinnung auf das "einfachen Leben" und eine Arbeit, deren wissenschaftliches und technisches Niveau nicht über Niveau der "Feuerzange" hinausgekommen ist. Das menschliche Leben ist kein einfaches! Es ist kompliziert. Es ist komplex. Systemtheoretisch gesagt. Dem entsprechend ist es zur Kenntnis zu nehmen. "Was wir brauchen, ist eine Wertschätzung der unendlichen Vielfalt von lebendigen Werten, die ein Organismus in der ihm eigenen Umgebung erwirbt", sagt sich auch Albert North Whitehead (Wissenschaft und moderne Welt. Ffm.1984). "Eine Fabrik", sagt er sich, "ist ein Organismus, der eine Vielfalt von lebendigen Werten offenbart. Was wir auszubilden wünschen, ist die Gewohnheit, einen solchen Organismus in seiner Gesamtheit aufzufassen"(S.231f.).

Was Whitehead auszubilden wünscht, ist die Gewohnheit, eine Fabrik "mit ihren Maschinen, ihrer Gemeinschaft von Arbeitsgängen, ihrem sozialen Dienst an der Bevölkerung, ihrer Abhängigkeit von Organisations- und Planungstalent, ihren Potentialitäten als Quelle des Reichtums für Aktionäre" (S.232), so zu sehen, wie seiner Auffassung nach der Wald zu sehen ist, den er als einen "Triumph der Organisation wechselseitig voneinander abhängiger Spezies" (ebd. S.240) sieht. Das wünscht sich auch die "Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" ('Hartz-Kommission'). Sie wünscht, daß das in allen Betrieben zu deren Triumph geforderte Leben als ein System wechselseitig voneinander abhängiger Lebensäußerungen verstanden wird - und die Beschäftigten schon zu Beginn jedes Arbeitsprozesses eine Vorstellung davon besitzen, welche Lebensäußerungen brauchbar und welche unbrauchbar sind, welche zuzulassen und welche auszuschalten sind. So verstanden, ist der "Kampf ums Dasein" kein Kampf mehr Mann gegen Mann, kein Konkurrenzkampf, sondern ein Kampf ums Ganze, der auf einen Menschentyp setzt, der so lebt und arbeitet, daß er seine Wirkungsstätte, sei's die Familie, sei's die Fabrik oder das Büro, als eine "Umgebung von Freunden" (Whitehead: aaO. S.240) bestätigt, auch wenn sein Leben sich in ihr als überflüssig erweist und eliminiert wird.

Whitehead ist kein Einzelkämpfer im Kampf gegen die "beiden Übel", die da sind "die Mißachtung der wahren Relation zwischen Organismus und Umwelt; und die Gewohnheit, den inneren Wert der Umgebung außer acht zu lassen" (S.227). "Alle neueren Universal- und Einheitswissenschaften", so Stephan Poromka (in: Hypertext. München 2001) "plädieren für die Beobachtung des Komplexen, für die Nicht-Linearität, die Lebendigkeit, Eigendynamik und Selbstorganisation der Systeme, ihre Unplanbarkeit und Unsteuerbarkeit" und werfen den klassischen Wissenschaften vor, "genau das ignoriert zu haben, um das Lebendige reduktionistisch mit einfachen, starren, uniformen Gesetzen ins Lineare, Determinierte und Reversible zu bannen" (S.114). Ihre Plädoyers für die Wahrnehmung bzw. Beobachtung der Komplexität des Lebens sprechen freilich nicht für eine "Einfühlung in die Katastrophe", sondern für den Einsatz einer Maschine, die intelligenter als die klassische Maschine arbeitet. Sie sprechen für den Einsatz des Computers, der die Komplexität des Lebens so bestimmt, wie er sie nicht anders bestimmen kann: wiederum mit Gewalt, die sich aber in ein neues Gewand kleidet - und so den Anschein erweckt, mit dem nicht-linearen Kräftespiel der Natur, der Komplexität des Lebens im Bunde zu sein.

Wie man einst mit der Uhr die Welt als Uhrwerk zu verstehen suchte, mit der Dampfmaschine die Welt als eine Maschine, die unter Dampf steht, der in geordnete Bahnen zu bringen, so versucht man mit dem Computer die Welt als Computer zu verstehen. Er bürgt - mit staatlicher Unterstützung, versteht sich - dafür, daß Vergessenes, auf der Strecke Gebliebenes, heimliche und verheimlichte Verbindungen auf dem Bildschirm in Erscheinung treten und unser Bild von der Welt vervollständigen, so daß wir vor Überraschungen sicher sein können. "Das führt man in simulierten digitalen Welten vor, die der Computer in allen möglichen Zuständen beherrscht" (S.118f.). Und wo die Kapazitäten dieser Computer-Generation überfordert sind, da rechnet man mit einer neuen Generation, die das noch Unmögliche möglich macht. Denn grundsätzlich kann dem Computer nichts und niemand entkommen, kann nicht sein, was nicht sein darf: daß es irgendwo Leben gibt, das sich nicht digitalisiert vorführen und mit anderen Vorführungen vernetzen läßt. Was sich so nicht vorführen läßt, lebt auch nicht! "Erst das, was in digitale Verarbeitungsprozesse integriert werden kann, ist nicht mehr künstlich und tot, sondern natürlich und lebendig" (S.126). Wer's nicht wissen will, will nichts vom Leben wissen - und ignoriert die Schönheit der Natur, die nicht im Angesicht der Natur, sondern nur auf dem Bildschirm zu ersehen ist: in der "Verdichtung von Datenmengen zu Bildern, mit denen sowohl ein informationeller als auch ein ästhetischer Mehrwert produziert wird" (S.121); in der Reduktion der unvorstellbaren Komplexität auf unkomplizierte Bilder wie etwa das Bild des Netzes, mit denen Unvorstellbares vorstellbar wird, nicht mehr bedrohlich erscheint, sondern als "Ausdruck einer neuen 'Leidenschaft für Ordnung'", die nicht ins Grübeln gerät, wenn nichts in Ordnung ist, das Chaos herrscht.

Das Leben ist nicht einfach und das menschliche Leben schon gar nicht. Wer es sich und anderen so einfach wie möglich machen will, vergreift sich an seinen und den Möglichkeiten der anderen. Die Aufgabe ist, es zu verkomplizieren, ausgeschalteten Lebensweisen eine Chance zu geben. "Wir müssen", so ist den Systemtheoretikern - mit Benjamin - entgegenzuhalten, "zu einem Begriff von Geschichte kommen, nach dem der Ausnahmezustand, in dem wir leben, die Regel darstellt" (I.3, S.1246) und die Erfahrung des Rausches, in der wir, wie Benjamin an anderer Stelle schreibt, "allein des Allernächsten und des Allerfernsten, und nie des einen ohne des andern, uns versichern" nicht für "belanglos, für abwendbar zu halten und sie dem Einzelnen als Schwärmerei in schönen Sternennächten anheimzustellen" (IV. 1, S.146). Wir machen es uns zu einfach, wenn wir die Komplexität des Lebens allein mit den Mitteln des Computers fassen wollen - und den Einsatz des individuellen Lebens für verzichtbar halten. Es kann und muß auf dessen aufopferungsvollen Einsatz verzichtet werden. So auf seinen Einsatz als Schütze für einen Schützenverein, um diesen mit mehr Leben zu erfüllen, das dann doch nur verschossen wird. Wenn es da eingesetzt wird, dann, um ihn wie jeden anderen bürgerlichen Verein aufzuheben in einem Verein von "Bekannten, Erreichbaren, viele Kennenlernenden und Erreichenden in der Masse der Unbekannten", wie Mi-en-leh empfiehlt. In einem Verein also, in dem das im Ausnahmezustand erspielte individuelle Leben der ihm in der Regel abverlangten Opfer als unnötige Opfer "habhaft" wird - und sich in der Lage sieht, seine individuelle Lebensäußerung ausdrücklich auch als das zu bestimmen, was sie ist: "eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens" (MEW EB. 1.Teil, S.538). Zu diesem Zweck ist im Arbeitsprozeß dann auch, doch nicht nur, auf einfache Mittel zurückzugreifen, Werkzeuge, die mit Händen zu greifen sind, vom Auge geführt werden, zu Fuß zu nutzen sind und nur zu nutzen sind, wenn sie auf den Nutzen anderer abgestimmt sind.

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